Tel.-Kontakt: 08742-9645519 | mail@heike-arnold.de

Menü
Titelseite des Buches Neue Wirtschaft, Statusreport 2001 (Scan)

New Economy

Lebenslauf: brüchig

Mein Beitrag im Handbuch für die Neue Wirtschaft

Buch bei Amazon gebraucht kaufen

Wie wird man Unternehmer?

Die Frankfurter Unternehmerin Heike Arnold ist eine Pionierin der New Economy in Deutschland. Die Spezialistin für Telework und virtuelle Unternehmen erzählt hier ihre Geschichte, die für viele Biographien in der Neuen Wirtschaft steht.

KAPITEL VIER: ARBEIT IN DER NEUEN WELT

Lebenslauf: Brüchig.

Die Geschichte einer New Economy Unternehmerin

So fing das damals, in den 1980er Jahren an: Mit 27 Jahren - und einer knapp zweijährigen Tochter - stand ich vor der Entscheidung, nur Mutter und damit finanziell vom Vater meiner Tochter abhängig zu sein.
     Von irgendjemand abhängig zu sein, war mir aber von jeher zuwider. Mich für irgendetwas bezahlen oder für etwas loben zu lassen, was in meinen Augen eine Selbstverständlichkeit darstellt, kam mir schon immer ein bisschen "unehrlich" vor. Vor allem mir selbst gegenüber; es bringt mir nichts.
     Eigentlich wollte ich ja im medizinischen Bereich arbeiten. Doch da gab es gesundheitliche Probleme. Ich landete im Büro, als Vorstandssekretärin einer Bank. Wenn zwischendurch mal nichts los war, hab' ich schrecklich gelitten. Ich wanderte dann von Abteilung und Abteilung und fragte bei Kollegen nach Beschäftigung.
     Wenn es nichts gab, marschierte ich ins Papierlager, sortierte, organisierte oder ich erstellte mir Textbausteine und sonstige Dinge, die meine Arbeitsabläufe rationalisierten. Kurz und gut: Ich fühlte mich nie gefordert.
     Als mich meine Kollegen irgendwann fragten, ob ich mir einen goldenen Lenker verdienen wolle, verstand ich zunächst nichts. Erst viel später habe ich verstanden, dass ich das Arbeitsklima mit meiner unternehmerischen Denke gestört habe. Nie 100 Prozent Leistung bringen, nur das tun, was einem vom Chef aufgetragen wird, am besten auch nicht mitdenken - das waren die Eindrücke aus meiner Zeit vor der Selbstständigkeit.
     Möglicherweise hatte ich Pech, hab' nie den passenden Chef gefunden, nie die passenden Kollegen, nie die Möglichkeit zu zeigen, dass mir Arbeiten richtig Spaß macht! Das war in den 1980er Jahren. Heute, in der Neuen Wirtschaft, hat sich das glücklicherweise geändert.
     Als ich dann vor der Entscheidung stand, eine Abhängigkeit - die vom Arbeitgeber - gegen eine andere - die vom Unterhalt zahlenden Ex-Partner - einzutauschen, fing ich an darüber nachzudenken, wie sich das vermeiden ließe. Ich überlegte, mit welchen meiner Interessen und mit welchem vorhandenen Know-how ich mir ein eigenes Geschäft aufbauen könnte. Ein Geschäft, das es mir ermöglichen musste, meine kleine Tochter nicht von morgens bis abends in einem Kinderhort zu deponieren. Das wollte ich nicht. Ich liebe meine Tochter sehr.
     Mit zehn Fingern auf der Schreibmaschine zu schreiben, hatte ich zu Schulzeiten gelernt. Angst vor Technik hatte ich auch nicht. Und ich hatte etwas, das rar war und sich tatsächlich zu einem selbstständigen Arbeiten eignete: Ich kannte die medizinische Terminologie so gut wie in- und auswendig, und ich wusste über die Kontakte, die ich hatte, dass wirklich gute Schreibkräfte Mangelware in Praxen und Kliniken waren.
     So fing das an. Sehr klein und sehr bescheiden, aber: ich war frei und unabhängig, konnte mir meine Zeit einteilen, nutzte die Vormittage, an denen meine Tochter im Kindergarten war und die Abende und Näche, während sie schlief, um mein "ProMedico - Fachbüro für medizinische Textverarbeitung" ins Laufen zu bringen.
     Marketing war mir dem Umfang wie heute kein Begriff; ich kaufte mir Blanko-Karten im DIN A6-Format, dachte mir einen netten Spruch aus, mit dem ich meine Dienstleistungen an den Mann oder besser: den Mediziner brachte, lief durch ganz Mainz, steckte die Mailings in die Postkästen, leistete mir eine Aussendung nach Wiesbaden (schrecklich teuer!) und bereitete mich auf die ersten Aufträge vor, indem ich meine alten Medizinbücher wälzte, mir von einem Freund die neueste Ausgabe des medizinische Lexikons Pschyrembel borgte und mich mit meiner nagelneuen elektrischen "Gabriele" Schreibmaschine mit fünfzeiligem Display anfreundete.
     Das Glück über den ersten Auftrag kann ich gar nicht in Worte fassen: das erste Gespräch als Unternehmer geführt. Mich und meine Leistungen verkauft. Die ersten Patientenakten in der Tasche, die ersten Bänder - es war ein tolles Gefühl. Ich hatte Erfolg, den ich mir wirklich selbst verdient hatte.
     Fünf Mark gab's für die Seite, und das für anspruchsvolle Berichte über komplizierte Herz-OPs. Bei monatlichem Umsatz von stolzen 3500 DM lässt sich leicht ausrechnen, welche Arbeitsleistung dahinter steckte.
     Es war okay.

1995, nachdem ich mich - mit Unterbrechungen durch Sprach- und Computerkurse - fast ausschließlich meiner Familie gewidmet hatte, brach die "Unternehmungslust" in mir erneut aus, als ich von E-Mail und Internet erfuhr.

Ich war sofort fasziniert von der Idee, dass Arbeiten nun von überall aus möglich sein sollte und dass dies geradezu die ideale Form sei, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen.

Und ich traf bei einem zweijährigen Wochenendstudium immer wieder auf junge Frauen, die ihren guten Job nicht für die Kinder aufgeben wollten.
     Es reizte mich, ein Modell zu entwickeln, bei dem qualifizierte Tätigkeiten von zuhause aus ausgeführt werden können.
     Dieses Modell präsentierte ich im Rahmen einer Abschlussklausur. Es stieß auf großen Beifall.
     Dadurch ermutigt, fing ich an, einen Geschäftsplan zu entwickeln. Den legte ich unserem regionalen Wirtschaftsförderer vor, der sich auch begeistert zeigte und mir empfahl, das Ganze der gerade neu gegründeten Investitions- und Strukturbank vorzulegen, um öffentliche Finanzierungshilfen und beraterische Unterstützung zu bekommen. Das ging jedoch daneben. "So etwas können wir nicht fördern", war die Aussage., "das klingt ja wie ein Konzept für gelangweilte Hausfrauen". Erschwerend kam hinzu, dass ich dem Mann frank und frei erklärte, dass ich keine klassischen Arbeitplätze schaffen würde. Andere anregen, sich selbstständig zu machen? Das ist heute selbstverständlich, damit macht man sogar Politik. Doch vor sechs Jahren war das für etablierte Angestellte völlig gaga.
     Es war mir bewusst, dass mir das Abenteuer bevorstand, als Pionier ins kalte Wasser der Telearbeit springen zu müssen.

Das Dienstleistungsportfolio umfasste zu Zeiten der Ursprungsfirma TWG - Teleworking-Services und Problemlösungen - alles, wovon ich mir eine Nachfrage erhoffte.
     Netzwerkpartner hatte ich ganz zu Anfang noch keine, aber ein, zwei Menschen, die meine Geschäftsidee für zukunftsträchtig hielten und mir Mut machten, einfach damit zu starten und zu warten, was passiert. Man lernt ja dazu: Es passiert nämlich gar nichts, wenn der Markt keine Kenntnis davon hat, was man anbietet, ja, dass es einen überhaupt gibt, zumal dann, wenn es um ein ganz neues Business geht.

Da fiel mir eines Tages im Wirtschaftsmagazin impulse eine Ausschreibung zum Office21-Award auf.

Ich erkannte meine Chance, mit der Teilnahme a) die Tragfähigkeit meines Konzeptes von namhaften Juroren prüfen zu lassen und b) wenn es denn klappen sollte, PR in einem renommierten Wirtschaftsmagazin zu bekommen.

Nicht übel. Ich reichte mein Konzept ein. Nach fast drei Monaten erreichte mich via Handy ein Anruf im Auto - ein Redakteur von impulse, der mich fragte, wann ich den Zeit für ein Interview hätte. Er schreibe nämlich gerade einen Artikel über die Office21-Gewinner. Sowas hälst du natürlich im ersten Augenblick für einen Scherz.
     Was dann ab Februar 1998 mit der Preisverleihung in Stuttgart folgte, ist eine Reihe von Glücksgefühlen und Erfahrungen, die ich nicht missen möchte: der erste öffentliche Auftritt, Danksagenwollen und nicht recht wissen, wie so etwas geht, für einen Abend im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen und von Menschen, die ich zuvor im Stillen für ihre Kompetenz geachtet hatte, für meine kleine Ansprache über die Motivation, die mich trieb, Neuland zu betreten, gelobt zu werden. Wer solche Momente selbst erlebt hat, kennt diese Gefühle, kennt auch die Auswirkungen, kennt auch die kleinen Gefahren, die davon ausgehen, wenn man sich bereits am Ziel sieht, bevor richtig bewiesen war, dass die Idee auch in der Praxis etwas taugt. Es folgten Ratschläge, sicher gut gemeinte, aber auch solche, die mit mir als Mensch nichts mehr zu tun hatten. "Erzähl den Leuten deine Geschichte", hat mir ein lebenserfahrener Mann geraten, "so etwas wollen die Leute hören". Aber das ist doch eine ganz normale Gründergeschichte, nicht? Ich wollte den Beweis antreten, dass sich meine Vision vom virtuellen Netzwerk erfüllen würde, bevor ich Geschichten erzählte.
     Nun hab' ich sie erzählt.

Frankfurt, im Jahr 2000

Über das Buch

Aus der Feder von führenden Wirtschaftsredakteuren: der kompetente Business-Guide für die Neue Wirtschaft - für alle, die in der New Economy leben und arbeiten oder die Perspektive der Generation New Economy kennen lernen wollen.

Mit einem umfassenden Dokumentationsteil, einem Wörterbuch der Neuen Ökonomie, aktuellen Tipps und Adressen.

AUTOREN: Gabriele Fischer, Detlev Gürtler, Steffan Heuer, Jean Heuser, Roland Bickmann, Jörg Wurzer, Christine Mattauch, Christian Nolterieke, Waltraud Kaserer, Bernhard Böhm, Thomas Voigt, Willie Brandt, Heike Arnold, Silke Gronwald, Matthias Spielkamp, Michael Inacker, Peter Lau, Katja Ploch

Die HERAUSGEBER Wolf Lotter und Christiane Sommer gehören der Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins an, dem Sprachrohr der Neuen Wirtschaft.

©2000, Deutsche Verlags-Anstalt GmbH Stuttgart-München. Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 3-421-05435-5